Mein Weg mit meinem wütenden Kind

Mein Weg mit meinem wütenden Kind

„Lead fearlessly, love hard“ (Linda Cliatt-Wayman)

Mein Sohn (5 Jahre) ist sehr oft sehr wütend – eigentlich schon immer. Wenn etwas anders läuft, als er es will, dann flippt er aus: er weint, schreit, schlägt, wirft Gegenstände, gerne auch mal die Küchenstühle. Er lässt sich nicht beruhigen und er richtet seine Wut dann gegen mich.

Ich glaube, würde ich sein Verhalten bei einem anderen Kind beobachten (und würde es bei meinen Kindern so nicht kennen), dann würde ich denke: was läuft denn da zu Hause schief? Meine 9-jährige Tochter war schon immer relativ vernünftig und kooperativ. Ich habe mich also dahingehend beruhigt, dass Kinder bei gleicher Erziehung verschieden sind (welche Erkenntnis!), ich nicht alles falsch mache und mich lieber auf den Weg gemacht herauszufinden, was mein Sohn braucht.

Dabei habe ich mich generell mit dem Thema Aggression bei Kindern beschäftigt und der Stigmatisierung, die damit einhergeht. Ob in der Schule oder in der Gesellschaft, ich finde es schon erstaunlich, wie oft Kinder nur aufgrund ihres aggressiven Verhaltens beurteilt und behandelt werden, anstatt das Kind mal zu fragen, warum es so wütend ist.

Auf der Berlinale lief der Film „Systemsprenger“, er handelt von einem Mädchen, das von einer Pflegefamilie in die andere geschoben wird, weil es keine mit ihr schafft. Sie rastet regelmäßig komplett aus. Auch beim Tatort neulich waren sogenannte „Systemsprenger-Kinder“ das Thema. Es wurde ebenso der Umgang mit diesen schwer traumatisierten Kindern kritisiert, die in Zimmer eingesperrt und zum Teil sogar ins europäische Ausland in Pflegefamilien „abgeschoben“ werden. Das ist doch eine Opfer-Täter-Umkehrung. Diese Kinder waren Opfer schlimmster Gewalt und Vernachlässigung. Von den Erwachsenen, die ihnen eigentlich helfen sollten, erfahren sie nun wieder Gewalt (Einsperren ist Gewalt) und bekommen zu hören, dass man ja jetzt auch wirklich alles versucht hat, ihnen viele Chancen gegeben, aber dass das wohl alles nichts hilft und es mit ihnen aussichtlos ist und es irgendwann auch mal reicht. Also greift man wieder auf autoritäre Methoden zurück.

Das empfinde ich als ein Armutszeugnis und ein Eingeständnis des eigenen Scheiterns. WIR Erwachsenen müssen es doch schaffen, die Kinder zu schützen, zu heilen, ihnen zu geben, was sie brauchen. Ich will damit nicht sagen, dass das leicht ist. Ganz und gar nicht. Es ist ein Kraftakt, es ist zum Verzweifeln, es scheint manchmal aussichtslos. Aber wenn nicht wir diese Verantwortung übernehmen, wer denn dann? Ich will in keiner Gesellschaft leben, in der „wütende“ Kinder weggesperrt, abgeschoben und bestraft werden. Beim Kind wird versucht, die Aggression weg zu erziehen oder weg zu bestrafen (als ob das tatsächlich funktionieren könnte – Gefühle zum Verschwinden zu bringen). DAS RICHTET SCHADEN AN!!!! Das Kind wird denken, dass mit ihm etwas nicht stimmt, dass es falsch und böse ist. Diese Gefühle verstärken doch die Wut. Im schlimmsten Fall hört die nach außen gerichtete Wut irgendwann auf, weil einen ja sowieso keiner hört und versteht und sie richtet sich nach innen. Diese Kinder fangen dann an, sich selbst zu hassen und sich Schaden zuzufügen.

„Die antisoziale Tendenz ist ein Hinweis auf Hoffnung. Hoffnungslosigkeit ist das Wesensmerkmal des deprivierten Kindes, das sich natürlich nicht ständig antisozial verhält. In Phasen von Hoffnung jedoch handelt das Kind antisozial.“
(Donald W. Winnicott: „Aggression – Versagen der Umwelt und antisoziale Tendenz“)

Diese Erkenntnis soll allen Eltern wütender Kinder Mut machen. Euer Kind hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass jemand herausfinden wird, was ihm fehlt. Ich möchte alle diese Eltern ermutigen, an ihrem Kind dran zu bleiben. Und natürlich auch alle anderen Eltern, weil jedes Kind ist (hoffentlich!) immer mal wieder sehr wütend.

Und ich wünsche mir, die Gesellschaft wird in dieser Hinsicht auch noch einem Perspektivwechsel vollziehen. Einen anderen Weg zu gehen, bei dem wir statt Strafen und Negativbewertung die Ursache der Wut suchen und davon ausgehen, dass das Kind nicht böse ist, sondern verzweifelt, ist nämlich umso schwerer, je mehr ich mich als Mutter auch noch mit den Bewertungen anderer Menschen auseinandersetzen muss. Ich habe entschieden, dass ich mehr und mehr übe, mich unabhängig zu machen von den Beurteilungen anderer. Ich werde dadurch tatsächlich innerlich immer ruhiger. Wenn der Glaube, dass der eigene Weg der richtige ist, groß genug ist, dann triggern blöde Kommentare einen auch nicht mehr.

Ein paar Beispiele, was ich mir auf meinem Weg schon anhören musste: mein Sohn hatte einen Wutausbruch im Edeka vor der Bäckerei. Ich bin dann mit ihm raus und als er sich beruhigt hatte wieder rein, um den Kuchen zu kaufen, den ich für ihn und mich kaufen wollten. Da sagte die Verkäuferin: „Für das Verhalten wird der jetzt auch noch belohnt?“ Vor einiger Zeit hat er sich schreiend auf den Boden in der Apotheke geworfen, da kam sofort die Apothekerin und wollte ihn raustragen. Im Urlaub am Strand hat mein Sohn sich wütend an mein Bein gehängt und wollte verhindern, dass ich weiterlaufe. Da fragte mich eine Frau: „Na, wer gewinnt?“ Na, wer gewinnt wohl? Es gewinnen doch wohl immer wir Eltern, wenn wir es wollen. Wir haben die Macht! Vor allen Dingen, wenn die Kinder noch klein sind, sind sie abhängig von uns als Versorger*innen und von unserer Liebe. Die Frage ist, ob es uns ums Gewinnen geht? Wenn eine gewinnt, gibt es auch einen Verlierer. In diesem Fall gibt es auf lange Sicht zwei Verlierer, weil wir die Beziehung zu unserem Kind verlieren.

Jetzt könnte man sagen: „Ja, ich will doch aber auch nicht, dass mein Kind gewinnt, dann tanzt es mir irgendwann auf der Nase rum.“ Richtig! Wenn wir im Gewinner-Verlierer Modus sind und wir das Kind immer gewinnen lassen, dann gibt es in der Familie keine Führung und keine Person, die die Verantwortung dafür übernimmt, dass es allen Familienmitgliedern gut geht. Das ist auch sehr schädlich für das Kind. Wir geben ihm dann die Verantwortung für eine gelingende Beziehung innerhalb der Familie. Diese Verantwortung darf und kann ein Kind niemals tragen. Wenn die Eltern immer gewinnen wollen ist das autoritäre Erziehung, wenn die Eltern als Gegenreaktion ihrem Wunsch nach einem partnerschaftlichen Verhältnis zum Kind nachgeben, dann führt das zu einer Überforderung der Kinder in Sachen Verantwortung. Und die Eltern oft an den Rand der Erschöpfung, weil Kinder soziale Fähigkeiten wie Rücksichtnahme und Empathie nicht ausreichend entwickeln können.

Aber was, wenn es kein Gewinnen und Verlieren gibt? Dann muss an die Stelle etwas anderes treten. Ich bin der festen Überzeugung, dass es einen dritten Weg gibt: Dass Kinder ein Maximum an Empathie und gleichzeitig eine klare Führung brauchen. Wenn wir unsere Macht als Eltern loslassen und sie nicht nutzen, dann können wir zu natürlicher Autorität und zu einer engen Beziehung zu unseren Kindern finden. „Aber was heißt denn das und müssen wir unsere Kinder nicht „erziehen“, ihnen Dinge beibringen, damit sie später in der Gesellschaft zurechtkommen?“, könnte man sich jetzt fragen. Natürlich müssen Kinder Dinge lernen, damit sie im Leben zurecht kommen und sie müssen auch Empathie und Rücksicht lernen, damit kommen sie nicht auf die Welt. Wir Menschen sind zu Beginn unseres Lebens im Überlebensmodus und das ist purer Egoismus – sonst wären wir schon ausgestorben. Das Baby will, wenn es Hunger hat, SOFORT essen und bringt das zum Glück auch sehr laut zum Ausdruck. Mit der Zeit lernen Kinder Empathie, allerdings erst richtig im Alter von 6-7 Jahren. Also müssen wir uns in Kitazeiten nicht verrückt machen, wenn das noch nicht so läuft mit der Empathie.

Kinder besitzen viel Weisheit, aber sehr wenig Erfahrung. Deswegen brauchen sie jemanden, der die Verantwortung trägt – die Eltern, oder andere erwachsene Personen. Die Frage ist, WIE lernen unsere Kinder Dinge, die für ihr Leben wichtig sind? Da müssen wir eigentlich nur auf uns selbst schauen. Wir entwickeln uns am besten weiter in einer wertschätzenden Umgebung, in der an das Gute in uns geglaubt wird, in der wir für Fehler nicht bestraft, für unerwünschtes Verhalten nicht bewertet werden und in der wir wissen, dass es den anderen Menschen darum geht, dass wir zu unserem ureigenen Potential finden und wir nicht den Wünschen der anderen entsprechen müssen und irgendwohin erzogen werden sollen. Und in der wir mit Menschen zusammen sind, die sich in ihrer Persönlichkeit authentisch zeigen. Wenn ich z.B. merke, dass mein Partner wirklich resigniert und erschöpft ist, wenn ich die Küche jedes Mal wieder in einen Saustall verwandele, wenn er grade aufgeräumt hat, dann motiviert mich das um einiges mehr, die Küche wieder in Ordnung zu bringen, auch wenn mir das nicht so wichtig ist, als wenn er sagen würde: „Wie oft soll ich dir das noch sagen? Wenn du nicht sofort aufräumst, dann gehe ich heute Abend nicht mit dir ins Kino.“

So versuche ich auch mit meinen Kindern zu leben. Abgesehen davon, dass Kinder das meiste lernen, indem sie es von uns abschauen und nicht, indem wir ihnen sagen, wie sie sein sollten (sie er-ziehen). D.h. wenn ich mein Kind bestrafe, meine Macht ausübe, dann darf ich mich nicht wundern, wenn das Kind auch Macht über Schwächere ausüben wird, sie ärgert, schlägt, mobbt. Diese Logik finde ich sehr perfide, mit Methoden sein Kind davon abbringen zu wollen, genau diese Methoden auch anzuwenden. Das entspricht für mich dem Bild vom schlagenden Vater, der dabei schreit: „Du sollst andere Kinder nicht schlagen!“

Ich versuche meinem Sohn also zu zeigen und zu sagen, wie es mir geht, wenn er was kaputt macht oder er mir/jemand anderem weh tut. Mal bin ich sauwütend (weil ich meine Küchenstühle echt liebe und meine körperliche Unversehrtheit auch), mal verzweifelt, weil ich nicht mehr weiß, was ich tun soll, mal tut es mir weh, weil es mir um das andere Kind leid tut, mal bin ich zutiefst traurig, weil ich ihm nicht besser helfen kann. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass ihm etwas fehlt, was er nicht bekommt, sonst wäre er nicht so wütend. Und dass es meine Aufgabe ist, herauszufinden, was das ist.

Das bedeutet für mich die Verantwortung zu übernehmen: Mich selbst zu zeigen, persönlich und klar zu kommunizieren, was ich will und was ich nicht will und es auch wirklich zu meinen, also wirklich authentisch zu sein. Authentizität heißt, dass das, was ich denke und fühle übereinstimmt mit dem, was ich sage und wie ich es sage. Um zu mehr Authentizität zu finden ist es hilfreich, meine Gedanken und Gefühle, die ich habe bevor ich spreche, immer bewusster wahrzunehmen, sie anzunehmen und daraufhin zu überprüfen, ob ich wirklich für mich und meine Bedürfnisse und für das Wohlergehen meiner Familie die Verantwortung übernehme. Alle Gedanken und Gefühle, die dem Kind die Verantwortung geben, können dadurch nach und nach verändert werden. Diese Erkenntnis kann weh tun, weil wir dann Schuld sind, wenn es nicht klappt. Wir müssen dann den Mut aufbringen, Dinge zu verändern und die Kraft, sie anzupacken und umzusetzen. Aber sie macht uns auch frei, weil wir nicht einem „anstrengenden“ Kind und überhaupt den ganzen schwierigen Umständen ausgeliefert sind.

Immer tiefer in diese Grundhaltung zu finden hilft mir, nicht zu denken, dass mein Sohn doch anders sein müsste und darüber ständig selbst aggressiv zu werden. Es mindert mein Selbstmitleid („was bin ich doch für eine arme Mutter, mit so einem anstrengenden Kind geschlagen zu sein, womit habe ich das verdient, warum ist er nicht anders?“) und es verhindert, dass ich meinem Sohn die Schuld in die Schuhe schiebe („der ist aber auch anstrengend, da hilft wohl nichts mehr, da muss ich jetzt doch mal hart durchgreifen“).

Dieser Weg ist ein radikaler Weg, wenn wir ihn wirklich durchziehen. Wenn wir nicht zwischen Laisser-faire und autoritärer Erziehung hin und her schwanken, weil es uns erst zu anstrengend ist, etwas zu verändern und wir ja auch unser Kind einfach mal so lassen wollen und dann aber irgendwann wütend werden, weil es über unsere Grenzen geht und harte Maßnahmen ergreifen. Mit diesem Weg machen wir uns auf, einen kompletten Haltungswechsel zu vollziehen. Er ist auch eine Reise, auf der wir uns mit uns selbst beschäftigen müssen. Er beinhaltet ein anderes Menschenbild und geht von anderen Voraussetzungen aus, wie innerhalb einer Familie miteinander gelebt werden sollte. Auf diesem Weg gibt es keine Strafen mehr (auch nicht manchmal, auch nicht eine kleine) und keine schimpfenden Eltern. (Ich finde den Begriff so irritierend, wenn Kinder sagen: „Dann schimpft meine Mutter“ oder „dann bekomme ich Ärger“. Warum sagen sie nicht: „Das hasst meine Mutter“, oder „da wird meine Mutter stinksauer“? Kinder haben das Machtsystem schon internalisiert. Schimpfen und Ärger bekommen sind Dinge, die nur in einem Machtsystem funktionieren und zwar einseitig. Nicht bei gleichwertigen Beziehungen, in denen wir uns begegnen).

Auf meinem persönlichen Weg mit meinem Sohn versuche ich Folgendes: Ich kommuniziere und zeige sehr deutlich, wie es mir mit seinem Verhalten geht und gleichzeitig „verordne“ ich mir radikale Liebe und Empathie und setze alles daran, herauszufinden, was er braucht, um weniger wütend zu sein. Mir ist absolut klar, dass ich zu 100% die Verantwortung dafür trage.

Dieser Weg war und ist steinig und beinhaltet therapeutische Beratungen, Gespräche mit seinen Erzieher*innen (die zum Glück der Oberhammer sind), anderen Eltern und natürlich mit meinem Sohn, viel lesen (u.a. „Aggression“ von Jesper Juul), Veränderung der Umstände (Anschaffung eines Punchingballs, Zeit nur mit ihm allein verbringen) und immer wieder überlegen, was meinem Sohn fehlt, bzw. was er braucht. Ich hatte das Gefühl, dass bei ihm der Tank grundsätzlich sehr leer ist und deswegen seine Frustrationstoleranz unglaublich niedrig. Dass er sich irgendwie immer im Minus fühlt. Dass er mehr braucht.

Selbstverständlich habe ich auf meinem Weg auch die Opfer-Momente mit Monologen wie: „Aber was soll ich denn noch alles geben, ich kann ja jetzt schon nicht mehr?“, „ich habe wirklich alles versucht, ich weiß einfach nicht, was er noch braucht, dann ist es halt jetzt so.“ Zum Glück komme ich mir dabei immer schneller selbst auf die Schliche, weil ich versuche, achtsam zu sein und ehrlich zu mir selbst. Und ich habe gelernt, mir meine Opferhaltung zu verzeihen und sie leichter zu nehmen. Manchmal überziehe ich für einen Moment bewusst mein Selbstmitleid bis ins Absurde – Humor hilft!

Ich bin sehr dankbar für alle Menschen, die mir auf meinem Weg Erkenntnisse durch Gespräche und ihre Bücher beschert haben. Und vorletzte Woche habe ich einen Artikel gelesen, mit dem alle Puzzleteile nochmal an den richtigen Platz gefallen zu sein scheinen: https://www.gewuenschtestes-wunschkind.de/2014/11/arten-der-aufmerksamkeit-und-zuwendung-warum-unsere-kinder-manchmal-nicht-genug-zu-bekommen-scheinen.html

Hier geht es um die „Fünf Sprachen der Liebe“, davon hatte ich schon gehört. Jeder Mensch wird von verschiedenen Dingen mit Liebe gefüllt. Und wir gehen oft davon aus, dass der Andere dasselbe braucht, was wir brauchen. Es kann sein, dass wir ganz viel Liebe geben und dann denken: Warum reicht es denn nicht (wie ich bei meinem Sohn)? Dabei geben wir einfach nicht genug von dem, was der Andere wirklich braucht. Mir wurde beim Lesen klar, dass es bei meinem Sohn „ungeteilte Aufmerksamkeit“ ist – und zwar extrem. Ich kann ihm die anderen Dinge alle geben (körperliche Zuwendung, Hilfe, kleine Geschenke, positive Rückmeldung), wenn er zu wenig ungeteilte Aufmerksamkeit bekommt, ist der Liebes-Tank trotzdem leer und er ist ständig wütend und verzweifelt.

Seit dieser Erkenntnis lasse ich alles stehen und liegen, wenn er mich ruft – was mir absolut widerstrebt!!! Ich gehöre zu den „Ich komme gleich“-Müttern, ich schreibe noch meine SMS zu Ende, lese noch eben die Seite, räume noch die Geschirrspüle zu Ende aus – und dann komme ich, schaue ich, spiele ich mit meinem Sohn. Kann man objektiv betrachtet in dem Alter auch verlangen, dass das Kind kurz wartet. Für meinen Sohn ist das aber ein Zeichen dafür, dass ich ihn nicht genug liebe. Da kann ich jetzt weiter drauf bestehen, dass ein Kind in dem Alter das aber schaffen muss. Ich werde damit nicht weiter kommen.

Ich probiere das mit der ungeteilten Aufmerksamkeit radikal aus. Ich unterbreche sogar das Kochen kurz – Herdplatte aus, Pfanne danebenstellen, ne Runde UNO spielen, weiterkochen. Und die SMS läuft auch nicht weg, wenn ich sofort schaue, wie hoch der Turm ist, den mein Sohn gebaut hat. Es ist eine große Herausforderung für mich, aber ich tue das in dem Bewusstsein, dass das ja nicht ewig so weitergeht. Ist der Tank erstmal gefüllt, dann kann mein Sohn auch wieder besser mit Frustration und Warten umgehen.

Ich habe das jetzt zwei Wochen gemacht und ganz tapfer versucht, dass mich das nicht nervt, sondern dass ich das aus Liebe tue. Und es ist für mich wie ein Wunder: Viel weniger Wut, viel weniger doll, viel schneller wieder verraucht und sie richtet sich nicht gegen mich. Ich darf meinen Sohn jetzt manchmal sogar trösten. Ich bin zutiefst berührt und erleichtert und es ist so schön zu sehen, wie es sein kann, wenn nicht diese monstermäßige Wut den Familienalltag zutiefst bestimmt.

Ich weiß natürlich nicht, ob das jetzt so weiterläuft. Aber so schnell lasse ich mich nicht mehr entmutigen. Wenn es wieder doller wird, dann bleibe ich weiter dran. Ich verordne mir radikale Liebe, radikale Verantwortung und radikales Vertrauen in diesen Weg, auf dem ich natürlich auch Hohn, Anklage und negative Bewertung von anderen Menschen aushalten muss. Aber an dessen Ende (ich bin mir sicher), die Chancen auf glückliche, empathische und selbstbewusste erwachsene Kinder und auf eine gute Beziehung zu ihnen ziemlich gut stehen.

Zu schaffen, dass unsere Kinder sich bedingungslos geliebt fühlen und dass sie wissen, dass wir dafür immer und jederzeit die Verantwortung übernehmen, ist eines der größten Dinge, die wir im Leben weitergeben können! Und nichts weniger als das ist unsere Aufgabe als Eltern. Eine sehr große Aufgabe – und eine sehr sehr erfüllende.

In diesem Sinne: „Lead fearlessly, love hard“.


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