Warum uns Verbindung so schwer fällt – und warum sie gleichzeitig so wichtig ist

Warum uns Verbindung so schwer fällt – und warum sie gleichzeitig so wichtig ist

Unser zentrales Bedürfnis ist Authentizität: die Eigenschaft, sich selbst treu zu sein – und die Fähigkeit, das eigene Leben aus einer tiefen Kenntnis des eigenen Selbst heraus zu gestalten. (…). Ein gesundes Selbstverständnis schließt nicht aus, dass man sich um andere kümmert, von ihnen beeinflusst wird oder sich von ihnen beeinflussen lässt.

Gabor Maté „Vom Mythos des Normalen“

Die Nachricht darüber, dass die AfD Massenabschiebungen plant, hat mich persönlich einerseits schockiert und gleichzeitig nicht verwundert. Denn seit Jahren beobachte ich die menschenverachtende faschistischen Haltung, die sich in dieser Partei ausdrückt. Die Nachricht beschäftigt mich in den letzten Tagen und ich frage mich, was kann ich tun, welchen Beitrag kann ich leisten?

Die AfD hat zu viele Stimmen. 

Die AfD hat stetigen Zuwachs. 

Gleichzeitig sind die Menschen, die demokratische Werte teilen, in Deutschland noch immer in der Mehrheit. Einmal mehr wird mir bewusst, wie sehr es auf jede*n einzelnen von uns ankommt, dass das auch so bleibt. Auch wenn ich im Moment innerlich zum Teil wegkippe und resignieren will, in mir wohnt eine große hoffnungsvolle Kraft, die daran glaubt, dass dieses Mal das Gute gewinnt. Wir dürfen nur nicht wieder denselben Fehler machen, wie unsere Vorfahren in den 1930er Jahren und die Gefahr kleinreden. Wir müssen handeln – JETZT. Um unsere Demokratie zu bewahren.

Die Leipziger Autoritarismus-Studie besagt, dass der Anstieg autoritärer und gewaltvoller Impulse in der Gesellschaft vor allen Dingen darin begründet liegt, dass wir uns als Menschen ständig anpassen müssen. Das führt zu Frust und Wut auf allen Seiten. Denn der Schlüssel zu Verbindung liegt nicht in der Anpassung, sondern im Anerkennen des Andersseins und der Begegnung, die in diesem Feld möglich ist. 

Der Beitrag, den ich dazu leisten kann, ist, Menschen zu begleiten, sich mehr mit sich selbst und im nächsten Schritt mit anderen zu verbinden. Einen Weg zu finden raus aus der Anpassung hin zu mehr Integrität, Selbstgefühl und Kooperation. Um gleichwürdige und nährende Beziehungen zwischen Menschen zu ermöglichen. Dazu müssen wir, denke ich, bei der Erforschung all unserer inneren Facetten ansetzen – den beliebten und den unbeliebten. Damit wir als die Individuen vorkommen können, die wir sind. Und uns darin vollständig begegnen. 

Uns selbst zu kennen, zu spüren und für uns und unsere Bedürfnisse und Grenzen einzutreten ist der Schlüssel zu authentischen und nachhaltigen Beziehungen. Und zu einer friedlichen Gesellschaft.

Die meisten von uns haben nicht gelernt, ihr Leben auf Basis des eigenen Selbst, also des unverstellten Wesenskerns zu gestalten. In unserer normorientierten, kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft wandern nicht anerkannt Anteile von uns (z.B. Neid, Aggression, Lust usw.) ins Verdrängte und werden so zu unseren Schattenanteilen. Sie werden von Scham- und Schulgefühlen und von Sorgen und Stress weiter von uns weggehalten. Bernhard Voss hat mit seinem Buch „Körperspuren“ eindrücklich beschrieben, wie diese Verdrängung in Spannungen im Körper mündet und im nächsten Schritt zu körperlichen Schmerzen und Erkrankungen führt. 

Nach außen sichtbar wird als äußerste Schicht die Persona, der bekannte (und anerkannte) Teil unserer Psyche, durch den wir uns in der Welt ausdrücken. Diese Abspaltung und die damit verbundene Anpassungsleistung ist die Grundursache für eine immer autoritärere Strömung innerhalb der Gesellschaft. Spalte ich Teile von mir ab, führt das zu einem Verlust an Mitgefühl. Authentizität ist somit nicht nur zentrales Bedürfnis des Menschen, sondern gleichzeitig auch die Basis für echte Verbindung und Mitgefühl.  

Gabor Maté bringt es in seinem neuen Buch „Vom Mythos des Normalen“ auf den Punkt:

In der Erfahrung des Schamgefühls steckt das durchdringende Gefühl, in irgendeiner Weise in seiner Menschlichkeit grundlegend unzulänglich zu sein. Wer die Narben eines Traumas davongetragen hat, entwickelt fast ausnahmslos ein Selbstbild, das auf Scham basiert (…) Eine der verheerendsten Folgen der Scham ist der Verlust des Mitgefühls mit sich selbst.

Und wie wir sehen auch der Verlust des Mitgefühls mit anderen Menschen. Es geht also darum, wieder ganz zu werden. Uns unsere verlorenen Anteile zurückzuholen und sie konstruktiv auszudrücken. Für uns zu sorgen. Um anderen Menschen klarer und gleichzeitig verbindender und mitfühlender begegnen zu können. In Verbindung zu sein, bedeutet nicht, sich nicht abzugrenzen oder nicht zu entscheiden, mit bestimmten Menschen keinen Kontakt haben zu wollen. Diese Entscheidung treffe ich dann aber auf Basis der Verbindung zu mir selbst und nicht auf Basis von verdrängten Gefühlen und diffusen Ängsten, die in einem übergroßen Ärger auf andere münden.  

Der Beitrag jeder*s einzelnen zählt: Werdet laut. Supportet andere, die sich für Verbindung einsetzen. Bleibt selbst in Verbindung mit anderen. Setzt bei denen an, die noch nicht verloren sind in ihrer trennenden Haltung. Bleibt bei euch. Findet die anderen. Im privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld.


Die Kommentare sind geschlossen.