Das Wertequadrat in Paarbeziehungen – Warum emotionale Arbeit der Schlüssel ist

Das Wertequadrat in Paarbeziehungen – Warum emotionale Arbeit der Schlüssel ist

„In einer Beziehung geht es darum, dass beide den Wunsch mitbringen, dass es dem anderen gut geht, dass die andere Person wachsen kann.“ – Susanne Mierau

Zwischendurch war ich kurz davor, den im Oktober geplanten Veto-Workshop „Lieben auf Augenhöhe“ wieder abzusagen. Romantische Beziehungen im Patriarchat — können die überhaupt auf Augenhöhe funktionieren? Ich war sehr frustriert von Geschichten von Freund*innen und auch von der emotionalen Mehrarbeit in meiner eigenen Beziehung.

Nun ist es bald so weit: am 31.10.25 und 01.11.25 findet der Workshop statt. Und ich bin voller Vorfreude. Denn ich habe in den letzten Monaten viel gelernt und eine intensive Forschungsreise hinter mir. Sowohl als Paar-Beraterin, als auch privat in meiner Paarbeziehung. Ich habe mich mit der Frage beschäftigt: Wenn das Ziel Lieben auf Augenhöhe ist – wie kann dann der Weg sein? Was funktioniert? Was nicht? Womit geht es mir gut? Womit nicht? Diese Reise war oft steinig und frustrierend. Und immer wieder auch unfassbar erkenntnisreich und erfüllend.

Als ich vor einigen Jahren begonnen habe, feministische Bücher zu lesen und mich mit den bestehenden Ungleichheiten tiefer auseinander zu setzen, hat es sich so angefühlt, als wäre ein Vorhang von meinem Blick gezogen worden. Ich habe plötzlich Dinge, die mir in meinem Leben widerfahren sind und die ich erlebt habe, in einem anderen Licht gesehen. Die Klarheit darüber gewonnen, dass sie mir passiert sind, weil ich eine Frau bin.

Auch der Blick auf meine Paarbeziehung hat sich damit verändert. Mir sind Dinge aufgefallen, die ich vorher nicht so hätte benennen können. Plötzlich hatte ich Worte für meine Störgefühle, verstand die Ursachen, habe von meinem Partner mehr eingefordert.

Ich hatte zum Beispiel das Gefühl, für nahezu alles Emotionale in der Beziehung und der Familie zuständig zu sein: Für Paartermine, für die Nähe zwischen uns, für Beziehungsgespräche, die Stimmung in der Familie, die emotionale Regulation der Kinder. Ich habe mir oft genau überlegt, wie spreche ich Kritikpunkte an, so dass mein Partner nicht in die Abwehr geht. Sage ich es überhaupt, wenn mich etwas stört und riskiere damit eine schlechte Stimmung? Das war für mich unglaublich zermürbend und frustrierend.


Mir wurde mit der Zeit bewusst, dass es fast allen Frauen in romantischen Hetero-Beziehungen so ähnlich geht, wie mir. Dass ich dafür ein Bewusstsein und Worte gefunden habe, hat mich entlastet und gleichzeitig belastet. Es hat große Wut und Kampfgeist in mir ausgelöst. Und führte in meiner Beziehung zu Vorwürfen, Kampf, Konflikten und einem fordernden Druck, den ich auf meinen Partner ausgeübt habe. Oft bin ich sehenden Auges in die nächste Katastrophe gerannt. In eine Form von Konflikten, bei denen ich in den Kampf und er in die Flucht gegangen ist.


Was mir aus der Überforderung herausgeholfen hat: Das Veto-Prinzip. Es erlaubt mir, Wissen in kleine, greifbare Einzelteile zu zerlegen. Genau dadurch entstehen Bewusstsein und tiefe Erkenntnisse über emotionale Arbeit. Ich habe mein neues Wissen also fragmentiert und in ein Mischpult gebracht: Das Mental Load Mischpult. Vor allem die beiden Bücher „Für Sorge“ von Jo Lücke und „Emotional Load“ von Susanne Mierau haben mir hier einen guten Dienst geleistet. Sie beschreiben, wie unsichtbar und ungleich verteilt emotionale und kognitive Sorgearbeit (Mental Load) oft ist.


Viele Männer haben (gesellschaftlich geprägt) wenig gelernt, wie emotionale Arbeit funktioniert. Ihnen fehlt die Übung in Selbstreflexion, Empathie und in der Regulation von Gefühlen. Das ist keine persönliche Schuld, sondern ein Ergebnis von Erziehung, Rollenbildern und patriarchalen Strukturen.
Aber: Wenn dieser Kompetenzrückstand nicht bewusst aufgeholt wird, bleibt er ein unsichtbares, schweres Päckchen – vor allem für Frauen.


Denn was passiert allzu häufig? Frauen balancieren ihre eigenen Bedürfnisse mit den (oft unausgesprochenen) Bedürfnissen ihres Partners. Sie merken die Stimmungen, nehmen Rücksicht, regulieren Gefühle, schlucken Kritik am Partner herunter, dämpfen Konflikte, kümmern sich um Paarzeit, Gespräche, Entschuldigungen, die Beziehung zur Familie und zu Freund*innen — die Liste ist endlos. Diese Arbeit bleibt meist unsichtbar, unbezahlt und wenig anerkannt. Ich habe mich beim Lesen der Bücher sehr gesehen gefühlt – und gleichzeitig so unendlich wütend, müde und machtlos in Anbetracht des Berges an Arbeit, der als Paar vor uns liegt, wenn wir unsere Beziehung wirklich auf Augenhöhe bringen wollen.


Ich wurde sehr eifrig. Dachte so oft: Wenn mein Partner diesen Fakt jetzt noch kennt und diese Statistik und wenn ich ihm nur alles aufzeige, was im Patriarchat schiefläuft, dann muss er das doch sehen und ALLES daransetzen, sich weiterzuentwickeln und es zu verändern. Ich wollte mich auf keinen Fall unterwerfen, ich wollte diesen Kampf nicht verlieren.

Nun wurde mir nach vielen aufreibenden Kämpfen (durch die mein Wunsch natürlich nicht erfüllt wurde) immer deutlicher, dass die Forderung, Privilegien zu reflektieren ohne Verbindung und Menschlichkeit nicht funktioniert. Sie erzeugt Abwehr beim anderen. Weil kein Mensch dazu gezwungen werden will, sich zu entwickeln und etwas zu lernen (haha – ganz neue Erkenntnis…;-)). Das widerstrebt jeglichem Autonomiebedürfnis und dem Schutz der eigenen Würde.

Also sitze ich in der Klemme, dachte ich. Für mich gab es nur das eine, oder das andere: Kampf oder Unterwerfung – und damit Niederlage. In dieser Art der Konflikte die Verbindung zu meinem Partner zu suchen, fühlt sich für mich an wie Unterlegenheit und Selbstaufgabe. Weil ich als Kind so geprägt wurde: Wenn ich den Kampf nicht gewinne, bin ich machtlos und beschämt. Ich muss klein beigeben und mich unterordnen. Ich wusste nicht, wie das gehen soll: wütend zu sein und für mich einzutreten und gleichzeitig in Verbindung zu bleiben. Wo ich als Frau doch in der unterlegenen Position bin. Alles ohnehin so ungerecht ist und ich doch genug emotionale Arbeit leiste.

Ein Wendepunkt war die Beschäftigung mit zwei Denkmodellen:

1. Das Wertequadrat
Es stammt von Friedemann Schulz von Thun. Er hat es im Rahmen seiner Kommunikationspsychologie entwickelt, um zu zeigen, dass jede Tugend oder jeder Wert eine „Schwestertugend“ braucht, damit er nicht ins Extrem kippt. Beispiel: Sparsamkeit ist gut, braucht aber die Balance mit Großzügigkeit – sonst droht Geiz.

Wenn ich mich in meiner Beziehung nur auf die Ungerechtigkeiten im Patriarchat fokussiere, verliere ich meinen Partner als Mensch aus den Augen. Er ist dann nur noch die Repräsentation eines Mannes im Patriarchat – also der „Feind“. Doch ich erreiche ihn nicht mit Kampfesreden und der Forderung: „Lies´ mal ein Buch“.

Und GLEICHZEITIG stimmt auch, was ich seit einigen Jahren reflektiere: Verhandele ich in meiner Partner*innenschaft Bedürfnisse auf der rein persönlichen Ebene – ohne Blick auf Rollenprägung und gesellschaftliche Strukturen – verleugne ich vorhandene Privilegien. Dann verändert sich nichts Grundlegendes in Beziehungen und die sozialen Ungleichheiten bleiben bestehen. Das ist meine Kritik an den meisten Paarberatungen, dass dieser Aspekt ausgeklammert wird. Es braucht also beide Werte: Reflektion von Privilegien UND menschliche Verbindung.

Ich habe daraus eine Werteskala gemacht, um immer wieder abstecken zu können, wo ich mich gerade verorte. Und um nachsteuern zu können:

2. Das Drama Dreieck
Es stammt ursprünglich von Stephen Karpman und beschreibt ein Muster ungesunder Kommunikation, in dem Menschen wiederholt zwischen drei Rollen wechseln: Opfer („Mir wird Unrecht getan“), Täter („Du bist schuld“) und Retter („Ich muss helfen“). Zu dieser Dynamik habe ich viel in den Büchern von Vivian Dittmar gelesen. Und es auf meine Paarkonflikte angewandt.

Ich als Frau bin dann das Opfer, mein Partner der Täter und ich suche mir Verbündete, die mich retten sollen. Bzw. habe ich meinem Partner auch häufig beide Rollen zugesprochen: Er war Täter UND Retter in einem. Diese Dynamik hält Konflikte aufrecht, anstatt sie zu lösen, weil alle Beteiligten in festen Rollen gefangen bleiben.

Die Frage war für mich: Will ich immer wieder mit voller Wucht gegen eine Scheibe rennen, abprallen und mir weh tun? Oder nehme ich einen anderen Weg? Ich habe mich dann für den Weg nach INNEN entschieden, anstatt weiter den Weg nach AUSSEN zu gehen. Und statt beharrlich und erfolglos meinen Partner verändern zu wollen, habe ich mich gefragt: Was passiert, wenn ich aus der Opfer-Täter-Haltung heraustrete? Wie fühlt sich das im Körper an? Welche Gefühle kommen hoch? Wie kann ich diese versorgen? Und wie trete ich meinem Partner anschließend gegenüber?

Das Ergebnis war, dass viele schmerzhafte Gefühle hochkamen, durch die ich durchgehen konnte: Ohnmacht, Trauer, Wut. Hinzu kam noch ein großer Entbehrungsschmerz (mangelnde Bindung) aus meiner Kindheit, der all die Gefühle verstärkt hat. Es kamen nach und nach die darunter liegenden Bedürfnisse zum Vorschein, gesehen und anerkannt zu werden, in Verbindung zu sein. Ich wurde weicher, offener, zugänglicher. Mein Partner konnte besser zuhören, das Gesagte annehmen. Meine Botschaft hatte sich nicht verändert. Aber meine Haltung.

Der Weg war nicht geradlinig. Manchmal kam zwischendurch auch wieder eine große Wut in mir auf: Warum muss ich eigentlich dauernd dazulernen, wie ich mich noch besser beruhige, um die Ungerechtigkeiten im Patriarchat auszuhalten? Um mehr Patriarchats-Resilienz zu erlangen? Und auch dieses Gefühl hat seine Berechtigung. Es ist in der Tat unfair, diese emotionale Mehrarbeit! Und darüber darf ich auch wütend sein.

Nur: Die Prägungen, die wir erfahren haben und die Strukturen, in denen wir leben, sind eine Tatsache. Nun kann ich mir wünschen, dass mein Partner schneller, engagierter, mit mehr Ehrgeiz dagegen angeht. Aber ich muss entscheiden, was ich mache, wenn er nicht das Tempo an den Tag legt, das ich mir wünsche. Es liegt in meiner Hand, mich zu trennen. Ich bin zum Glück nicht abhängig von ihm, so wie es die Frauengenerationen vor mir oft waren.

Es ist meine Verantwortung, dass ich mich für diese Beziehung entscheide, mit diesem Mann, der dieses Tempo hat. Es ist nachvollziehbar, dass ich denke: Das sollte aber alles anders sein! Nur es ist nicht hilfreich. Denn wenn ich Tatsachen ablehne, die es nun einmal aktuell gibt, bleibe ich in der Täter-Opfer-Retter Dynamik gefangen.

Auch, wieviel emotionale Arbeit ich investiere, entscheide ich selbst. Ich habe meinen Fokus dann mehr auf meine Freundinnenschaften gelegt und sehr wertschätzen können, wieviel Nähe, Verbundenheit und Schwesternschaft ich in meinem Leben habe. Ich empfange so viel Liebe, ich muss gar nicht gegen verschlossene Türen rennen.

So wurde mir hinsichtlich meiner Beziehung mehr und mehr bewusst, dass es um eine Balance geht zwischen den Werten des machtkritischen Denkens und der menschlichen Verbindung. Es gibt nicht nur Kampf und Unterwerfung. Es gibt eine Form der menschlichen Verbindung, bei der beide Seiten vorkommen können. Ich kann klar für mich einstehen, ohne mein Gegenüber zu verlieren.

Heute würde ich sagen: die größte Herausforderung auf dem Weg, das Patriarchat zu durchbrechen, liegt darin, diese Balance zu finden: zwischen der Einforderung von Rechten und der Reflektionen der Privilegien UND der Suche nach menschlicher Verbindung. Mit dieser Aufgabe können wir uns sicher noch einige Jahre beschäftigen.

Mir gelingt es nach jahrelanger Arbeit immer besser, die Gefühlswellen zu surfen und Verantwortung für meine Bedürfnisse und Gefühle zu übernehmen. Diese Skala hilft mir dabei, mich zu beobachten: wann gehe ich zu sehr in die eine Richtung – Drama – oder in die andere Richtung – Verdrängung. Und wann bin ich in einer guten Balance.

Was bedeutet das für meine Partner*innenschaft?

Mein Ziel ist: Lieben auf Augenhöhe.
Dabei ist mir wichtig, dass mein Partner dasselbe Ziel hat und wir diesen Weg zusammen gehen. Auch wenn wir vielleicht noch nicht am Ziel angekommen sind — entscheidend ist, dass wir es wirklich wollen und es angehen. Und zwar gemeinsam – als Team!

Mein großer Wunsch ist, dass wir es als Gesellschaft schaffen, dieser Entwicklung mehr Positives abzugewinnen. Ich erlebe so viele Frauen, die sich überlastet und allein gelassen fühlen. So viele Männer, die sich ungenügend oder in der Familie ausgeschlossen fühlen. Beide empfinden Isolation, statt echter Nähe. Und ich erlebe Frauen, die sich aufreiben, um eine Verbindung herzustellen. Oft mit dem Impuls, das Verhalten der Männer zu rechtfertigen, um sie vor Scham zu schützen.

Was für eine schöne Vorstellung wäre es, wenn Männer diesen emotionalen Raum selbst halten könnten – für sich, für ihre Partnerin, für ihre Kinder. Männer gewinnen so viel, wenn sie emotionale Fähigkeiten entwickeln, Mitgefühl für sich selbst lernen, echte Nähe mit Freund*innen und Kindern erleben und mehr Verantwortung in Beziehungen übernehmen. Ihnen wird so viel verwehrt, weil ihnen die Verletzlichkeit abtrainiert wurde. Und wir einspringen, um ihnen diese emotionale Arbeit zu erleichtern oder abzunehmen.

Auch meinem Partner wird das im Moment so deutlich: Was er alles an Lebensqualität, Verbundenheit und Selbstwirksamkeit dazu gewinnt durch seine Entwicklung. Das zu beobachten ist sehr berührend. Auch wenn es nicht immer einfach war – nicht für ihn und nicht für mich.

Ich merke: Mein Partner muss nicht immer alles sofort fühlen oder verstehen, was ich an Schmerz – verursacht durch patriarchale Strukturen – mit ihm teilen will. Aber er kann zuhören, nachfragen, sich informieren, gemeinsam nach Lösungen suchen. Und wenn das nicht gelingt, darf ich auch klar sagen: „Wenn dir unsere Beziehung wichtig ist, dann brauchen wir Unterstützung — sei es durch Therapie, Beratung, Workshops oder andere Wege. Ich möchte nicht länger erdrückt werden vom Gefühl, nicht gesehen und respektiert zu werden.“

Ich sehe es auch in meinen Paarberatungen, wie unglaublich heilsam, nährend und verbindend das ist, wenn Frauen emotionale Aufgaben mehr loslassen und Männer sie mehr übernehmen. Beide empfinden wieder mehr Kraft, Freude, Selbstwirksamkeit und Verbundenheit.


Ich weiß, es ist möglich:
„Du merkst es an der Art und Weise, wie sich dein Körper entspannt und sich jemandem gegenüber öffnet, wenn alle deine Zugangsbedürfnisse erfüllt werden. Es hängt nicht davon ab, ob jemand ein theoretisches Verständnis hat. Man muss einen Abgrund überqueren — wer nicht springt, wird nichts begreifen.“ – Selma Kay Matters (In „Muskeln aus Plastik“)


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